Celine

Hund trotz Körperlicher Einschränkung Ja oder Nein?

Ein Erfahrungs Bericht von Cèline Bernasconi

Ich möchte meine Erfahrungen teilen zum Thema Hundemami oder Hundepapi sein – trotz körperlicher Einschränkung. Ich möchte aufzeigen, was mir Hunde bedeuten, wo ich die Hunde herhabe und welche Schwierigkeiten auftreten können, z.B. bei der Suche nach einer Hundeschule.

 

Als ich mein Jurastudium auf Eis gelegt hatte und mir klar wurde, dass ab jetzt ein Bürojob auf mich wartet, war mir klar, dass ich mir ein lang gehegter Herzenswunsch erfüllen möchte – ich wollte meine Familie, die bisher aus einem Ehemann bestand mit einem Fellbaby erweitern. Ich telefonierte die gängigen Tierheime ab und merkte schnell, dass ein gewisser Vorbehalt da ist, sobald klar wurde, dass die Halterin im Rollstuhl sitzt. Ich kann euch sagen, der Mensch hat viele Vorurteile, dem Hund ist es herzlich egal, solange man ihm viel Liebe, Futter, Auslauf und ihm auch sonst alles geben kann, was ein Hund möchte und braucht.

 

Diese Vorurteile hielten mich also nicht ab und ich suchte weiter. Auf einer bekannten Tierschutz-Vermittlungsseite fand ich «Armor» und habe mich durch einen ewig langen Fragebogen gequält – Einkommen, Wohnungsgrösse, Arbeitszeiten usw. – Alles ausgefüllt und versendet. Als es darum ging, dass eine Vorkontrolle stattfinden sollte, wollte ich den Hund zuerst sehen. Also wurde mir etwas widerwillig – weil es nicht das typische Vorgehen sei – mitgeteilt, in welchen Tierheim sich der Hund befindet. Wir mieteten ein Auto und fuhren zu einem kleineren Tierheim in St. Gallen, nachdem wir uns dort kurz vorher telefonisch angemeldet hatten.

 

Dort angekommen, stiegen wir voller Vorfreude aus dem Auto und der Leiter des Tierheims brachte Armor zu uns. Schnell war klar, dass die Verantwortung, die wir ihm entgegen hätten bringen müssen, für einen Ersthund zu gross war. Taub, blind und inkontinent war der Gute und so leid es mir auch tut, dafür fühlte ich mich nicht bereit. Desillusioniert fragte ich den Leiter des Tierheims, ob er nicht noch einen anderen Hund hätte, der ein zu Hause sucht. Doch, meinte er, Boris suche ein Zuhause. Ich dachte der Name deute auf einen Listenhund hin und während der Leiter Boris holte, fragte ich meinen Mann, ob ein Listenhund für ihn okey wäre. «Warten wir ab», meinte er. Dann brachte der Leiter Boris, ein mittelgrosser Hund mit Übergewicht und viel zu kurzen Beinen im Verhältnis zum Körper. In seinen Augen waren Trauer und Angst deutlich zu erkennen. Ein rumänischer Strassenhund par excellence. Wir sollen ein paar Schritte mit ihm laufen gehen, meinte der Leiter. Das versuchten wir auch – nach kurzer Zeit musste mein Mann ihn zum Tierheim zurücktragen. Boris hatte schlicht keine Energie oder keine Lust. Oder beides. Ich meinte zu meinem Mann, dass Boris mir leid täte, dass ich ihn mag, auch wenn er sich nicht anfassen lässt und das ich es mit Boris probieren möchte. Wir vereinbarten mit dem Leiter eine Probezeit, unterschrieben zum Schluss ein paar Dokumente und fuhren nachhause. Nach einigen Tagen, ich wollte eigentlich schon nach einem Tag Bescheid geben, rief ich das Tierheim an und berichtete dem erstaunten Leiter, dass wir Boris behalten werden. Boris verweilte gerne auf dem Balkon oder auch einfach sonst gerne so weit wie möglich weg von uns. Der Gang zum Tierarzt wurde teuer, eine Ohrenentzünding und weitere Verletzungen mussten behandelt werden.

 

Doch mein Bauchgefühl täuschte mich nicht. Boris taute immer weiter auf und nach Wochen und Monaten merkte man immer mehr, wie er zum Familienhund mutierte. Durch Futterumstellung und regelmässige Spaziergänge erreichte er wie von selbst sein Idealgewicht. Mein erster Hund ist bei mir angekommen und hat mein Herz im Sturm erobert. Wir haben ihn im Februar 2022 übernommen. Ende 2022 begann ich dann mit Boris die Assistenzhundeausbildung beim Verein Assistenzhundezentrum Schweiz VAHZS. Durch seine ruhige und ausgeglichene Art war er der geborenen Assistenzhund. Wir besuchten Seminare und auf der Suche nach einer geeigneten Hundeschule fand ich diese. Zusammen mit ihr und speziell ausgebildeten Assistenzhundetrainern wurde Boris schnell zu einem treuen Alltagsbegleiter und begleitet mich heute sogar ins Büro.

 

Eine gute Hundeschule zu finden, war nicht einfach. Beim Abtelefonieren, ob es in der Region überhaupt noch Platz hat, wurde ich mehrfach bei der Erwähnung des Rollstuhls abgewiesen, weil man «damit keine Erfahrung hätte». Was sich am Kommando «Sitz» für den Hund ändert, ob man dies als Fussgänger oder Rollstuhlfahrer ausspricht, erschliesst sich mir bis heute nicht – nun gut, ich fand ja dann doch, was ich suchte, nämlich eine ganz normale Hundeschule. Boris und ich nahmen jede Woche mit viel Freude Teil. Sei es an Socialwalks, an einem speziellen Kurs für Tierschutzhunde oder einfach an einer Plauschgruppe.

 

Ich litt zu dem Zeitpunkt an starken Depressionen. Boris half mir da raus, in dem er mir Tagesstruktur und Freude gab. In dem er sich weiterentwickelte und mir zeigte, dass er mich mag, gewann ich neue Lebensfreude. Der Rollstuhl war zu keinem Zeitpunkt ein Thema zwischen uns.

 

Schnell entwickelte sich bei mir der Wunsch nach einem Zweithund und den holte ich mir dann auch – wieder über einen Tierschutzverein via Internet. Auch Chipsi entwickelte sich prächtig, Boris und sie sind seit Tag eins ein Herz und eine Seele. Mitte 2023 haben wir dann noch Notfall-Lucky übernommen. Der 14-jährige Rüde lebte noch 9 Monate bei uns, bevor er die Regenbogenbrücke beschritt. Ich merkte, dass ich körperlich mit drei Hunden an meine Grenzen kam. Vor allem weil Lucky draussen sehr reaktiv war, bellte, an der Leine zog und auch mal schnappen konnte. Boris und Chipsi waren und sind bis heute zu 90% Freigänger (ausser an Strassen und sonstig gefährlichen Orten). Lucky war der Erste, der zu 100% an der Leine sein musste. Wenn ich dann mit allen drei Hunden unterwegs war und situationsbedingt alle an der Leine sein mussten, gab es oft ein Leinengewirr. Es war schwierig, aber machbar.

 

Zusammengefasst, kann ich jedem, der den Herzenswunsch hat, einen Hund zu haben und der bereit ist, dafür auch Geld und Zeit zu investieren, empfehlen, die Familie durch einen Hund zu erweitern. Körperliche Einschränkungen sind sehr individuell. Ich für meinen Teil bin nur im Unterkörper eingeschränkt und habe im Oberkörper/an den Armen kräftemässig und auch sonst keine Einschränkungen. Man sollte auch die Grösse des Hundes berücksichtigen. Mein bisheriges Maximum sind 20 Kg Körpergewicht vom Hund. Schwerere Hunde sind im Handling auch schwieriger. Man kann sich auch als behinderte Person durchaus einem Tierschutzhund annehmen. Wichtig ist, dass man auch ein Umfeld hat, dass einen unterstützt – Familie, Partner, Freunde und professionelle Hundehorts und Spazierdienste. Der Hund muss abgesichert sein, wenn man gesundheitsbedingt nicht zum Hund schauen kann oder z.B. ins Spital muss.

 

Man muss sich eben die Hundehaltung so zurecht legen, dass es einem einfach fällt – ich für meinen Teil benutze die ach so verpönten Flexileinen, wenn ich dann mal auf eine Leine zurückgreifen muss. Einfach, weil sich diese im Rollstuhl wegen dem Rückzugsmechanismus nicht verheddern kann. Die Meinung anderer darf einem dann auch herzlich egal sein. Oder meine kleine Hündin Chipsi (7Kg) ist kein Windhund, hat aber ein Halsband für Windhunde, weil man das nur über den Kopf streifen kann, statt einen mühsamen Klick-Mechanismus betätigen zu müssen (feinmotorisch sind diese Klick-Verschlüsse echt eine Herausforderung).

 

Also mit etwas Geduld, Fantasie und viel Herz können auch wir körperlich beeinträchtigte Menschen einen Hund halten. Dabei muss das Tierwohl immer an erster Stelle stehen.

 

Meine Ausführungen dazu sind rein subjektiv und basieren rein auf meiner eigenen Erfahrung. Jede Situation, jede Beeinträchtigung muss separat geprüft oder hinterfragt werden. Wenn man unsicher ist, kann man vielleicht auch zuerst ein paar Tage einen Hund aus dem eigenen Umfeld hüten und es ausprobieren. Hunde können das Herz öffnen und einen Lebenssinn schaffen – sie sehen unser Herz, unsere Art, wie wir mit ihnen umgehen und nicht unsere Beeinträchtigung.